Mythische Erziehungshelfer auf kinderalltag.de

Mythische Erziehungshelfer

Seit meiner Kindheit haben sich viele Dinge geändert. Zu meiner Zeit gab es den Weihnachtsmann und den Osterhasen, die Jahr für Jahr Geschenke brachten. Zwei mythische Figuren, die viel mit Brauchtum und Glauben zu tun hatten. Sie brachten Geschenke, wobei der Weihnachtsmann dafür gutes benehmen gefordert hat. Der Osterhase war weniger anspruchsvoll, dafür waren die Geschenke kleiner und gut versteckt. Beide waren ein Teil meiner Kindheit und natürlich habe ich die Geschichte auch meinen Kindern weitergegeben. Dass das Christkind, oder der Weihnachtsmann, die Geschenke liefert und unter den Baum legt, war genauso eine Selbstverständlichkeit, wie der Osterhase, der etliche Eier im Haus versteckt. Im Laufe der Zeit haben meine Kinder, genauso wie ich, erfahren, dass es die Figuren eigentlich nicht gibt, sondern es die Eltern sind, die die Geschenke unter den Baum legen und die Eier verstecken. Es sind aber auch die Eltern, die diese mythischen Figuren als Erziehungshelfern einsetzen.

Mythen-Inflation

Figuren, wie der Osterhase, sind in unserer Kultur tief verwurzelt. Sie sind ein Teil des Glaubens und ein spielerischer und kindgerechter Zugang zu kirchlichen Feiertagen. Im Laufe der Jahre sind aber ein paar neue mythische Figuren dazu gekommen. So gibt es die Schnullerfee, die den Kindern Briefe schreibt und den Schnuller abholt, wenn das Kind alt genug ist. Die Zahnfee gibt es seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie tauscht ausgefallene Milchzähne unter dem Kopfkissen gegen Geld. Ein gutes Geschäft, das meinen Sohn eine Zeitlang dazu gebracht hat, jeden lockeren Zahn mit viel Kraftaufwand und Ausdauer sofort zu extrahieren. Nach und nach kommen immer neue mythische Figuren dazu, die alle einen ähnlichen Zweck erfüllen. Es sind Erziehungshelfer. Kleine Helfer, hinter denen man sich als Mutter und Vater perfekt verstecken kann.

Erziehungshelfer aus der Fantasie

Der Osterhase fällt in der Liste der mythischen Gestalten etwas aus der Reihe. Der Hase bringt weitgehend bedingungslos kleine Geschenke und Süßwaren. Sein Zweck ist im Grunde nur die Weitergabe von Brauchtum. Zusammen mit dem Ei ist seine Rolle das Fruchtbarkeitssymbol, das für den Neubeginn, der im Osterfest gefeiert wird, steht. Er fordert von den Kindern wenig, außer ein wenig Geschick beim Suchen. Der zweite, tief in unserer Kultur verwurzelte Mythos ist der Weihnachtsmann, der seit dem 20. Jahrhundert allgegenwärtig ist. Er hat in vielen Gebieten das Christkind verdrängt, oder wenigstens in den Hintergrund gerückt. Glaubt man dem Mythos, der in Amerika zelebriert wird, dann führt Santa Claus eine umfangreiche Liste mit guten und schlechten Taten und trennt die Kinder in brave und schlimme Kinder. Das könnte 2025 nicht mehr zeitgemäß sein.

Belohnung und Bestrafung

Es war in meiner Kindheit, vor ein paar Jahrzehnten, für Eltern etwas einfacher. Zumindest bei mir war es so, dass meine Eltern am längeren Hebel saßen. Sie haben Entscheidungen getroffen. Mitspracherecht gab es wenig bis gar nicht. Heute ist das anders. Würde ich eine Liste führen, auf der ich gute und schlechte Taten meiner Kinder notiere und am Ende eine Summe bilde, anhand der ich entscheide, ob sie Geschenke bekommen, oder nicht, wäre das wohl schwierig. Es würde damit beginnen, dass die Kinder Einsicht in die Liste fordern würden. Dann würde jede einzelne, von mir getroffene Bewertung hinterfragt. Parallel dazu würden meine Kinder beginnen, Listen zu führen, auf denen sie meine Fehler notieren. Das passt gut zum modernen Erziehungsstil. Man erzieht die Kinder als gleichberechtigte Partner und versucht Ihnen Werte durch Verständnis zu vermitteln. Man versucht, als Vorbild zu handeln, statt zu strafen. Statt Befehle auszusprechen, erklärt man den Kindern, was und warum man es von ihnen erwartet. Gefühle werden ernst genommen und die Selbstständigkeit der Kinder wird so gut es geht gefördert. Bei aller Konsequenz braucht man auch Verständnis für Ausnahmen.

Anachronismus

Die Geschichte vom Weihnachtsmann ist also so etwas, wie ein Anachronismus. Zumindest, wenn man sie so erzählt, wie die amerikanische Tradition es vorsieht. Nur brave Kinder werden belohnt und die Entscheidung trifft ein Mann, der von Nordpol aus beobachtet, ohne Mitspracherecht für die Kinder. Die neuste Figur, die rund um diesen Mythos zu uns kommt, ist der „Elf on the Shelf“. Eine kleine Elfenfigur, die im Kinderzimmer als Spitzel für den Weihnachtsmann aufgestellt wird und ihm regelmäßig Bericht erstattet. Das Christkind war hier wesentlich fortschrittlicher. Es hat die Geschenke nicht an Bedingungen gebunden, aber trotzdem an die Tugenden und ethischen Grundwerte appelliert. Man könnte jetzt vermuten, dass es für manche Eltern willkommen ist, dass es eine Figur, wie den Weihnachtsmann gibt. Kindern zu drohen, gehört heute nicht mehr zur Erziehung. Sie mit Strafen zu richtigem Verhalten zu erziehen, ist auch überholt. Was aber, wenn man es einen Stellvertreter gibt, der das übernimmt?

Erfundener Erziehungshelfer

Der Weihnachtsmann ist der perfekte Strohmann, wenn es darum geht, die verpönten Erziehungsmethoden von früher auch in die heutige Erziehung einfließen zu lassen. Belohnung und Strafe sind heute durch Verständnis, Einsicht und intrinsische Motivation ersetzt worden. Dieses Bewusstsein hat der Weihnachtsmann nicht. Er bewertet und entscheidet über Belohnung und Strafe. Auch wenn die Motivation der Kinder dann nicht mehr das ist, was man mit moderner Pädagogik erreichen will, kann es eine Zeitlang funktionieren. Oberflächlich betrachtet hatten es Eltern früher viel leichter. Ein Wort und die Kinder mussten folgen, weil negative Konsequenzen im Raum standen. Diese Mittel haben Eltern heute nicht mehr. Strafen verändern Verhalten nicht dauerhaft. Nur weil das Kind etwas aus Angst nicht tut, gibt es kein Verständnis dafür, was falsch war. Außerdem schädigt es die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Die Kinder lernen, dass es besser ist, wenn die Eltern nicht alles wissen. Außerdem führt Bestrafung zu einem geringeren Selbstwertgefühl und steht der Entwicklung des Verständnisses für richtig und falsch im Weg.

Unterstützung bei der Erziehung

Aber nicht alle mythischen Wesen, die in der Kindheit eine Rolle spielen, nutzen schwarze Pädagogik. Viele sind die zentrale Figur in einem Ritual. So kann man die Schnullerfee als Gestalt schon früh vorstellen und auf den großen Moment hinarbeiten. So wie es in vielen Kulturen Initiationsriten gibt, die wichtige Punkte im Leben markieren, so können mythische Gestalten bei verschiedenen schwierigen Situationen im Leben helfen. Die Vorstellung, dass die Zahnfee die Milchzähne sammelt, gibt dem Zahnverlust einen tieferen Sinn. Sie hilft dabei, den Verlust nicht so schwer zu nehmen und zu vestehen, das er notwendig ist. Auch die Schnullerfee spielt eine ähnliche Rolle. Setzt man sie richtig ein, dass ist es eine Auszeichnung für das Kind, wenn sie den Schnuller abholt. Die Geschichte rund um die Schnullerfee unterbindet auch Diskussionen. Es sind nicht die Eltern, die den geliebten Schnuller einziehen. Es ist eine offizielle Instanz, die einen logischen nächsten Schritt umsetzt. Das Kind hat ein kritisches Alter erreicht und ist bereit für den nächsten Schritt.

Willkommene Unterstützung

Zahnfee und Schnullerfee sind gern gesehene Gäste in meiner Erziehung. Sie stehen für die sanfte, kindgerechte Begleitung von Übergängen und das Akzeptieren von Veränderungen. Die Schnullerfee übernimmt die Rolle der Auftraggeberin, in deren Auftrag die Eltern dann handeln. Nachdem man sie nicht erreicht, gibt es auch keine direkte Diskussion. Die Eltern können ihre Argumente vorbringen und die Diskussion mit dem Kind führen. Dass es an der Zeit ist, entscheiden aber nicht die Eltern, sondern eben die Schnullerfee. Setzt man mythische Figuren so ein, dann passt das sehr gut zu einer modernen Erziehung. Das Kind kennt die Vorgänge, hat die Möglichkeit, die Umstände zu hinterfragen und handelt freiwillig. Übergangsrituale gibt es immer wieder im Leben. Vom ersten Schultag, bis zum Schulabschluss erleben die Kinder immer wieder das Ende eines alten und den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Im Berufsleben gibt es strukturierte Abläufe und Rituale, die den Alltag prägen. Kinder, die solche Rituale kennen, können gut damit umgehen.

Handverlesene Mythen

Für mich ist es wichtig, zu entscheiden, welche Mythen meinen Erziehungsstil unterstützen und welche eine andere Philosophie verfolgen. Viele der mythischen Wesen sind ein wichtiger Teil unserer Kultur. Auf der einen Seite sind einige von ihnen überall und allgegenwärtig. Dem Weihnachtsmann kann man zwischen Oktober und Weihnachten nicht entkommen. Andere halten sich etwas mehr im Hintergrund, sind aber genauso im Handel vertreten. So kann man Bücher über die Schnullerfee, oder Accessoires für die Zahnfee kaufen. Die meisten von ihnen haben auch heute noch ihre Berechtigung. Bei Geschichten rund um den Weihnachtsmann muss ich aber immer wieder daran denken, wie es in den Märchen meiner Kindheit zu Sache gegangen ist. Die böse Hexe wollte Hänsel zuerst mästen und dann braten. Der Wolf hat zuerst sieben junge Geislein verspeist und wurde dann vom Jäger erschossen und aufgeschnitten. Im Struwelpeter werden Kinder verstümmelt und sterben aufgrund ihrer Fehler und bei Aschenputtel hacken sich die Stiefschwestern auf Anweisung ihrer Mutter Zehen und Fersen ab.

Willkommen im 21. Jahrhundert

Kinder sind heute nicht mehr das, was sie einmal waren. Ich kann über zwei Generationen aus erster Hand berichten und weiß, dass es in den letzten 40 Jahren massive Entwicklungen gegeben hat. Waren es zu meiner Zeit noch die Schularbeiten, die ausschließlich für die Schulnote herangezogen wurden, so sind es heute umfangreiche Kriterien, wie Mitarbeit, Hausübungen und etliche andere Faktoren. Ähnlich ist es auch in der Erziehung. Es zählt nicht mehr ausschließlich das Benehmen der Kinder, sondern es gibt viele Ziele, die moderne Erziehung hat. Gutes Benehmen, das die Folge von Anpassung und Vermeidung von Strafen ist, steht nicht an oberster Stelle. Stattdessen versuchen wir, Kinder zu ermuntern, sich richtig zu verhalten und bemühen uns, ihnen die Hintergründ zu erklären. Eltern sind heute im Dialog mit ihren Kindern und erziehen auf Augenhöhe. Konzepte, wie der Weihnachtsmann stehen dazu im Widerspruch. Es lässt sich nicht vermeiden, dass die Kinder damit konfrontiert werden und die Figur wird auch im Kindergarten und der Schule besprochen, aber seine Reichweite und die Entscheidungsgewalt über die Weihnachtsgeschenke muss man ihm nicht zusprechen.

Zeitgemäße Erziehung

Rituale, Mythen, Bräuche und die unterschiedllichen Gestalten, die in verschiedenster Form Einfluss auf die Kinder nehmen, können eine wichtige Rolle in der Erziehung spielen. Setzt man sie richtig ein, dass helfen sie dabei, Entscheidungen kindgerecht zu erklären und die Notwendigkeit, etwas zu verändern, zu unterstreichen. Dass es keine Töpfchen-, oder Toilettenfee gibt, zeigt aber, dass man sie nicht für jeden Veränderungsprozess in der Erziehung braucht. Mythische Gestalten können die Erziehung bereichern und die Eltern unterstützen. Man darf sich aber nicht hinter ihnen verstecken und sie dazu nützen, den Kindern Angst zu machen. Das ist heute nicht mehr zeitgemäß und zahlreiche Experten zeigen, dass Bestrafung ihren Zweck nicht erfüllt. B.F. Skinner hat 1953 festgehalten, dass Strafen nur für ein kurzfristiges Unterdrücken von Verhalten sorgen. Andere Experten führen aus, dass Strafen die sichere emotionale Bindung zwischen Kinde und Eltern schädigt. Als extrinsische Motivation hemmen Strafen die Entwicklung der Kinder. Strafen fördern aggressives Verhalten und Kinder, die häufig bestraft werden, lernen nicht, Konflikte selbst zu lösen. Nicht zuletzt steigern Strafen die Stresssysteme und stören damit die Entwicklung des Kinder. Also konzentrieren wir uns auf Zahnfee und Schnullerfee, die den Kindern helfen, loszulassen und lassen den Weihnachtsmann die Geschenke bedingungslos bringen und verschweigen den Kindern die Idee, dass er eine Liste mit schlechtem Benehmen führt.

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