Aus den Augen, aus dem Sinn auf kinderalltag.de

Aus den Augen aus dem Sinn

Das Prinzip einer aufgeräumten Wohnung ist mir klar. Alles in an seinem Platz. Ich bin dabei, dafür meine komplette Wachzeit aufzuwenden. Wie eine unerschrockene Superheldin bekämpfe ich nicht das Verbrechen, sondern die Unordnung und den Schmutz. Nebenbei sorge ich auch noch für die Wäsche. Wie jede gute Superheldin habe ich aber auch fiese Gegenspieler. In meinem Fall sind es vier Stück, die mir das Leben schwer machen und meine Pläne ständig durchkreuzen. Es handelt sich dabei um meine drei Kinder und meinen Mann. Ihre Lebensaufgabe scheint es zu sein, die Dinge von ihrem Platz zu nehmen und irgendwo in der Wohnung zu platzieren. Manchmal habe ich das starke Gefühl, dass zumindest einige von ihnen das absichtlich machen. Statt schmutziges Geschirr in die Spülmaschine zu ordnen, bleibt es einfach irgendwo stehen. Kein Problem, dann die Wohnung und die Ordnung darin steht unter meinem persönlichen Schutz. Mit wachsamen Augen, einem Staubsauger und einer Motivation, die man gerne als Übermotivation bezeichnen darf, ausgestattet, stelle ich mich der Herausforderung. Allerding schieße ich mitunter etwas über das Ziel. So neige ich dazu, meiner Familien den Teller unter der Nase wegzuziehen, noch bevor sie wirklich mit dem Essen fertig sind. Außerdem sind mein Staubsauger und ich am liebsten zur Primetime unterwegs. Wenn also andere gerne die Zeit vor dem Fernseher abhängen, starte ich ein Haushaltsgerät und tanze vor dem Fernseher. Audiovisuell unterbinde ich damit jedes Fernsehvergnügen und statt Entspannung gibt es Diskussionen. Allerdings ist das nicht der größte Fehler, den ich beim Ordnung halten mache.

Sichtbereich

Nennt mich kurzsichtig, aber ich bin zufrieden, wenn es in meinem Sichtfeld nichts gibt, was nicht an seinem Platz ist. Ich habe gelernt, die Besitztümer meines Mannes – ich halte ihn ja für einen Messie, auch wenn er es nicht zugibt – nicht zu bewegen. Schweren Herzens umrunde ich beim Aufräumen also seinen Schaffensbereich. Wenn ich am PC sitze, lege ich den Posteingang, offene Rechnungen, Basteleien der Kinder etc., die mein Mann dort in einem System ablegt, das ich nicht verstehe, fein säuberlich zur Seite. Danach kommt alles wieder dorthin, wo mein Messie-Mann es gerne stapelt. Tja, es kann nun mal nicht jeder mit einem so ausgeprägten Ordnungssinn gesegnet sein, wie ich. Allerdings gibt es da eben ein Problem. Das Problem ist auch der Grund, warum ich die Dinge meines Mannes nicht mehr neu und nach meinen ästhetischen Gesichtspunkten sortieren darf. Ich mag es nicht, wenn Dinge herumliegen, als räume ich sie weg. Soweit so gut, nur wenn man Dinge, die keinen Platz haben und deswegen ja herumliegen, wegräumt, dann gibt es mehr als eine Möglichkeit, wohin man sie trägt. Es gibt eben nicht den einen richtigen Platz. Es gibt auf den etwas mehr als 100 m² unserer Wohnung ungefähr 384 solche Plätze. Ich kenne sie alle, denn ich klappere sie regelmäßig ab.

Engelchen und Teufelchen

Das übliche Szenario läuft wie folgt ab: Ein Familienmitglied bringt einen neuen Gegenstand in unsere Wohnung. Weil er so neu ist, hat er noch keinen, ins Ordnungskonzept passenden Platz. Also liegt der Gegenstand irgendwo herum. Nehmen wir mal an, es handelt sich um ein technisches Ding, das angeschafft wurde, um es im Ernstfall zur Verfügung zu haben. Sagen wir, mein Mann bestellt ein Fernglas. Es kommt an, wird getestet und erst mal auf der Kommode abgelegt. Die Kinder haben Spaß damit und legen es auf eine andere Kommode. Irgendwann flaut das Interesse ab. Jetzt trete ich auf den Plan. Für ein paar Tage diskutiere ich mit dem Engelchen und dem Teufelchen auf meinen Schultern. Das Engelchen überzeugt mich und ich lassen das Fernglas erst mal dort liegen. Nach ein paar harten Tagen, ich bin allein daheim, überkommt es mich dann und das Teufelchen bekommt seinen Willen. Das Fernglas wird weggeräumt. Mir geht es gut, mein Dekokonzept wird nicht mehr durch ein schwarzes Ding gestört und vorerst fällt es keinem auf. Aber das ist nur die Ruhe vor dem Sturm.

Vermisstenmeldung

Eines Tages, ich habe das Fernglas schon sehr lange vergessen, ergibt sich der Bedarf an Weitblick. Mein Mann sieht einen spannenden Vogel, ein Kind versteckt sich ganz hinten im Hof, oder ein unidentifizierter Hubschreiber kreist über unserem Haus. Das Familienmitglied mit dem Bedarf geht zum vermeintlichen Ablageort des Fernglases und greift ins Leere. Innerhalb weniger Minuten werden die üblichen Sammelplätze für unsortierbaren Hausrat durchsucht, dann erreicht mich die Vermisstenmeldung. Ab dann erinnert mich meine Tätigkeit stark an den Alltag in einer Detektei. Zuerst gehe ich ganz tief in mich und finde dort traditionell eines von drei Dingen. Die wahrscheinlichste Variante ist, dass ich nichts finde in meinem Inneren. Danach gibt es noch die Möglichkeit, dass ich eine sehr klare Idee habe, wo ich das Teil abgelegt habe, es aber dort nicht ist. Zuletzt gebe ich hier der Vollständigkeit halber auch noch die Option an, dass ich wirklich weiß, wo ich das heimatlose Teil verstaut habe. Aber das ist im Grunde noch nie, oder zumindest unglaublich selten passiert. Ich habe also keine heiße Spur. Als Nächstes widme ich mich der Sammlung von Indizien und Spuren. Ich mache einen Lokalaugenschein, also so etwas wie eine Gegenüberstellung zwischen mir und dem Ort, von wo das Fernglas verschwunden ist.

Laufarbeit

Zuletzt geht es dann an das Ausschließen von Möglichkeiten. Von den 384 möglichen Plätzen, an denen ich Dinge ablege, wird einer nach dem anderen aufgesucht und abgehakt. Nach außen läuft dieser Prozess sehr intransparent ab. Meist finde ich etwas, was der- oder diejenige besser sofort erledigen sollte, statt Vögel zu beobachten und vertröste auf später. Wenn ich dann allein daheim bin, startet die eigentliche Arbeit. Mühsam klappere ich alle Möglichkeiten ab. Ich kämpfe mit der Verzweiflung, muss mich zwischendurch ausruhen, denke angestrengt nach und ärgere mich über mich selbst. Nach ein paar Stunden habe ich es dann meistens gefunden. Kommt der Suchende dann heim, kann ich stolz das gefundene Teil präsentieren. Dabei erwecke ich natürlich den Eindruck, dass es eine Kleinigkeit war und ich es eigentlich nur holen musste. Den Teil mit der Laufarbeit, die Verzweiflung und den Ärger lasse ich mal unerwähnt.

Wurzel ziehen

Dahinter steckt das Problem, dass ich bei der Hausarbeit streckenweise nicht bei der Sache bin. Mein Kopf schwirrt vor anstehende Aufgaben. Arzttermine für 5 Personen, Schularbeitstermine für 3 davon, Einkaufslisten für Lebensmittel und andere Dinge, Freunde, erweiterte Familie und natürlich die Weltpolitik sind Dinge, die mich mehr, oder weniger geistig auf Trab halten. Die Folge davon ist, dass ich recht kopflos Dinge von A nach irgendwo räume. Oft schüttle ich den Kopf, wenn ich nach langer Suche endlich fündig werde. Es ist meist nicht nachvollziehbar, warum ich genau das Teil genau an den Ort geräumt habe. Aber eine Lösung habe ich dafür nicht. Ich könnte versuchen, mehr bei der Sache zu sein. Aber wenn man nicht bei der Sache ist, kann man auch nicht versuchen mehr bei der Sache zu sein. Da ist man eben mit den Gedanken anderswo. Auch einen Platz für alles zu schaffen, ist illusorisch. Zu viel bringen meine 4 Mitbewohner mit nach Hause und legen es einfach irgendwo ab. Das Problem hat also zwei Wurzeln, die ich beide nicht lösen kann. Das ist unbefriedigend.

Organisatorische Maßnahmen

Die Lösung wird wohl eine organisatorische Maßnahme sein. Statt zu versuchen, Dinge immer ins Endlager zu bringen, werde ich ein Zwischenlager anlegen. Eine Kiste, in die ich einfach alles werfe, was ich bei meinen Rundgängen finde. Dort bleiben die Utensilien erst mal ein paar Monate. Fragt keiner danach, kann man das Teil eigentlich entsorgen, oder weitergeben. Ist es in Ordnung, dass man das Ding so lange nicht gebraucht hat, dann ist es an der Zeit, einen endgültigen Platz zu finden. Damit könnte ich das Problem sicher in den Griff bekommen. Ich kann weiterhin meine Gedanken kreisen lassen, während ich mich um den Haushalt kümmere und ich kann mir irgendwann Zeit nehmen, die Dinge strukturiert wegzuräumen. Außerdem werden unnötige Dinge nicht irgendwo in der Wohnung versteckt, sondern verlassen unser Leben schon nach wenigen Monaten wieder. Also mache ich mich als Nächstes auf die Suche nach einer passenden Kiste. Ich werde mal überlegen, ob ich mit einem 20-Fuß Container auskomme, oder lieber gleich einen 40-Fuß Container anschaffe.

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