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Was tun bei Mobbing in der Schule? - Interview mit Mobbing-Expertin Alexandra Fritz auf kinderalltag.de

Was tun bei Mobbing in der Schule? – Interview mit Mobbing-Expertin Alexandra Fritz

Meine Kinder sind mittlerweile in einem Alter, in dem sie auch ohne, dass ich es mitbekomme, mit anderen Menschen interagieren. Solange sie klein und noch nicht im Kindergarten sind, verbringt man eigentlich den ganzen Tag mit ihnen. Mit wem auch immer sie sprechen, streiten, oder spielen – Als Mutter bekommt man alles mit. Je älter sie werden, umso weiter entfernen sie sich von den Eltern. Einerseits gut, weil sie sollen ja schließlich irgendwann einmal auch ohne die Eltern zurechtkommen. Andererseits bilden sie aber auch Schnittstellen zu etlichen anderen Menschen. Menschen, die es nicht immer gut mit ihnen meinen. Es ist natürlich nicht möglich und auch nicht sinnvoll, die Kinder vor allem zu beschützen und dazwischenzugehen. Sie müssen lernen, selbst mit schwierigen Situationen klarzukommen. Allerdings gibt es in der letzten Zeit ständig neue Entwicklungen im Bereich Mobbing. Ein Phänomen, das meine Kinder ständig betrifft. So wie es aussieht, sind sie nicht die Einzigen. Ich habe dazu vor ein paar Monaten ein Interview mit Alexandra Fritz, einer Expertin für Mobbing geführt. Leider ist es dann bei mir liegengeblieben und ich habe es noch nicht veröffentlicht. Jetzt habe ich eine Pressemitteilung erhalten, die sich um das Thema dreht und ich habe mich daran erinnert. Auf jeden Fall ein großes Sorry für die späte Veröffentlichung!

Cyber-Mobbing

Vor ein paar Tagen hat mich eine Pressemitteilung der Fa. Eset erreicht. Das Unternehmen entwickelt Sicherheitssoftware und hat damit eine fundierte Expertise im Bereich Cybermobbing. Im Rahmen der aktuellen Studie haben sie 350 Lehrkräfte von Grund-, Förder-, Haupt- und Realschulen sowie Gymnasium, Regel- und Berufsschulen im Zeitraum vom 10. bis zum 16. November 2023 befragt. Die Ergebnisse sind ernüchternd und gleichzeitig erschreckend. Es ist wichtig, das Thema zu kennen und sich damit auseinanderzusetzen. Nur wenn wir uns damit befassen und wissen, wie man damit umgeht, können wir das Wissen auch an unsere Kinder weitergeben. Dass die Kleinen von Mobbing und im Speziellen von Cybermobbing betroffen sein werden, ist tatsächlich sicher. Den gesamten Text der Pressemitteilung findest Du hier. Die wichtigsten Erkenntnisse daraus sind, dass bereits in der Grundschule 51 Prozent der Kinder betroffen sind. Bei den 12-15-jährigen liegt der Anteil bei 69%! Auch die Lehrkräfte sind direkt Opfer von Cybermobbing. Für 89% der Schülerinnen und 80% der Schüler ist Cybermobbing Realität. Eset hat die Ergebnisse auch in einer aussagekräftigen Grafik zusammengefasst.

Was tun bei Mobbing in der Schule? - Interview mit Mobbing-Expertin Alexandra Fritz auf kinderalltag.de
Zusammenfassung der Studie von Eset.de

Schutz für die Kinder

Die eigenen Kinder auf das Thema zu sensibilisieren, ist also essenziell. Dabei darf man aber auch nicht außer Acht lassen, dass es nicht nur Opfer, sondern auch Täter gibt. Wenn 69 % der Kinder Opfer von Cybermobbing sind, dann stellen die Täter wohl ebenfalls eine große Gruppe. Außerdem gibt es jede Menge Kinder, die es tolerieren und mit laufen, ohne selbst betroffen zu sein. Wir sollten auch dort ansetzen und unsere Kinder so erziehen, dass sie niemand anderen mobben. Auch sollten sie die Situationen erkennen und Hilfe holen, oder sogar selbst einschreiten. Als Elternteil hat man es tatsächlich schwer. Umso wichtiger ist es, das Thema zu kennen und sich darauf zusammen mit seinen Kindern vorzubereiten. In diese Kerbe schlägt das Interview, das ich vor längerer Zeit geführt habe. Alexandra Fritz ist ist Mobbingexpertin an Schulen und hilft Erwachsenen und Jugendlichen sich neu auszurichten, um ein Leben im Einklang mit ihrer Seele zu führen. Nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium, Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik und einiger Arbeitserfahrung, entschied sie sich nach einem Schicksalsschlag, zu einem Psychologiestudium. Als ausgebildeter Coach führt und unterstützt sie heute Menschen in allen Lebenslagen. Hier das Interview:


Interview mit Mobbingexpertin Alexandra Fritz

kinderalltag.de: Vor ein paar Jahrzehnten war es sehr selten, psychische Probleme zu haben. Heute schießen die Praxen der Psychotherapeuten wie die Pilze aus dem Boden und an jedem zweiten Hauseingang findet man bereits ein entsprechendes Schild. Seit 1974 gibt es den Begriff Burn-Out. Heute, knapp 50 Jahre später hält sich jeder zweite Deutsche für Burn-Out-gefährdet. Die Ursache dafür liegt wohl in unserem veränderten Lebensstil und dem ständigen Leistungsdruck. Trotzdem wirkt Burn-Out ein wenig, wie eine Modeerscheinung. Mobbing hat eine ganz ähnliche Geschichte. Der Begriff wurde erst Anfang der 1990er-Jahre geprägt und wird seitdem immer häufiger verwendet. Ist Mobbing ein Phänomen unserer Zeit, das sich tatsächlich erst in den letzten drei Jahrzehnten ausbreitet, oder ist Mobbing schon immer Teil der menschlichen Gesellschaft und hatte einfach noch keinen Namen?

Alexandra Fritz: Der Begriff Mobing wurde durch Konrad Lorenz in Bezug auf das Tierreich 1969 geprägt.

„Wurde der Begriff in der heutigen Bedeutung bekannt durch den aus Deutschland ausgewanderten schwedischen Arzt und Psychologen Heinz Leymann, der von Mobbing in Bezug auf das Arbeitsleben sprach. Seine Forschungen über direkte und indirekte Angriffe in der Arbeitswelt begannen gegen Ende der siebziger Jahre. Anfang der neunziger Jahre veröffentlichte Leymann seine erste Arbeit, welche die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenfasste. Die Berichte weckten zunächst nur Interesse in den nordeuropäischen Staaten und wurden verzögert im mitteleuropäischen Raum rezipiert. Veröffentlichungen, eindringliche Fallschilderungen, öffentliche Diskussionen, die Aufnahme der Thematik durch Unternehmensberater, Gewerkschaften, Arbeitgeber und andere Verbände sowie in der Medizin machten das Thema Mobbing zunehmend einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.“

Lt.  https://lexikon.stangl.eu/445/formen-des-mobbing.

Mobbing gibt es also durchaus schon längere Zeit, allerdings ist eine Zunahme dieses Phänomens zu erkennen nach schwierigen Zeiten wie die von Corona oder auch dem Ukraine Krieg. Die seelische Belastung in den Familien ist sehr hoch und dies wirkt sich auf das gesamten Sozialleben aus.

kinderalltag.de: In jeder Gruppe von Menschen gibt es die sogenannte Gruppendynamik. Ich beobachte das regelmäßig bei meinen drei Kindern. Solange sie zu zweit sind, oder ein viertes Gastkind dabei ist, scheint alles in Ordnung. Sind die zu dritt wird normalerweise eines der drei Kinder ausgeschlossen. Dabei gibt es aber keine klaren Muster. Mal spielen die beiden Mädchen, mal eine von ihnen mit dem Bruder. Das dritte Kind stört das Spiel und wird oft energisch weggeschickt. Dasselbe passiert wohl Tag für Tag in jeder Gruppe von Kindern. Auch wenn ich nicht dabei bin, bekomme ich von den Kindern doch reichlich Informationen über ihr Sozialleben im Schulalltag. Sie erzählen oft von besten, oder wenigstens guten Freundinnen und Freunden und Tage später erzählen sie von Streit und Anfeindungen durch dasselbe Kind. Kinder sind keine Diplomaten und haben kaum Filter für ihr Verhalten. Es ist also nicht ungewöhnlich, dass es mal ein paar Tage gibt, in denen ein Kind ausgegrenzt wird. Das ist noch lange kein Mobbing, sondern eben Gruppendynamik und nach ein paar Tagen sieht die Gruppenzusammenstellung schon wieder ganz anders aus. Wo ist die Abgrenzung zwischen dem normalen kindlichen Verhalten und Mobbing?

Alexandra Fritz: Mobbing ist es dann, wenn ein oder mehrere Täter eine bestimmte Person physisch oder psychisch angreifen und diese Person psychische Schäden davonträgt. Dies ist genau der Kern von Mobbing, denn es gibt Menschen, die 3 Wochen lang unschön angegriffen werden (du Brillenschlange z.B., nach Hause gehen und sich dort soweit seelisch erholen können, dass sie keinen Schaden erleiden. Dann gibt es Menschen, die 3 Tage lang hören, daß sie eine Brillenschlange z.B: sind und deshalb tief verletzt sind, Selbstzweifel und ein seelischer Schaden sind die Folge – das ist Mobbing

kinderalltag.de: Jeder, der ein Kind von Geburt an begleitet, wird bestätigen, dass sich sehr früh Charaktereigenschaften entwickeln. Nicht alle sind liebenswert und auch ein Baby kann ein paar richtig unsympathische Eigenschaften entwickeln. Dazu gehört unter anderem auch die Interaktion mit anderen Menschen. Es gibt Kleinkinder, die großen Spaß daran haben, jemanden an den Haaren, oder am Bart zu ziehen. Schreit man vor Schmerzen können sie sich nicht halten vor Lachen.  Auch gegenüber anderen Kleinkindern kann so ein Zwerg bereits richtig brutal vorgehen. Schubsen, Spielzeug klauen, oder sogar schlagen ist nicht unbedingt selten. Auch in sehr kleinen Menschen steckt also schon ein gewisses Potential, andere zu verletzen. Wie ist das mit Mobbing? Kann es sein, dass mein Kind schon in der Krabbelgruppe nonverbal gemobbt gibt es das Phänomen ab dem Zeitpunkt, ab dem man mit anderen Menschen interagieren kann?

Alexandra Fritz: Im Kita-Alter gibt es zwischen Kindern Konflikte, die zur sozialen Entwicklung dazugehören. Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren planen jedoch ihre Handlungen meist noch nicht systematisch. Mobbing unter Kindern tritt daher meist erst ab ca. 6 Jahren und damit im Grundschulalter auf. Grundsätzlich. Es gibt aber durchaus auch Fälle in KITAs , in denen einzelne Kinder es auf andere abgesehen haben. Grundsätzlich kann man dies also nicht auf ein bestimmtes Alter reduzieren.

kinderalltag.de: Mobbing ist ein Phänomen, das nicht nur Kinder trifft. Auch Erwachsene können Mobbing-Opfer werden. Gibt es messbare Kriterien, bestimmte Tatsachen, oder Verhaltensweisen, die klar zeigen, dass Mobbing vorliegt? Gibt es Verhaltensweisen von Tätern, die auf Mobbing hinweisen?

Alexandrea Fritz: Mobbing liegt vor, wenn ein oder mehrere Täter über einen längeren Zeitraum eine bestimmte Person psychisch oder physisch verletzen und diese Person seelische Schäden davonträgt. Also wenn eine Person mehrmals abgepasst wird und verletzt wird ist dies Mobbing.

kinderalltag.de: Es gibt Kinder, wie meine Älteste, die erzählen ungefragt jedem Menschen alles, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Hier muss man als Elternteil viele Informationen herausfiltern, um die wichtigen und relevanten Informationen aus dem Redeschwall zu extrahieren. Es bleibt wenig Zeit für Nachfragen. Es gibt aber auch Kinder, die sich ganz anders verhalten. Denen muss man jede winzige Information mühsam aus der Nase ziehen. Gibt es bestimmte Fragen, die man seinem Kind stellen sollte, wenn man befürchtet, dass es gemobbt wird? Bei welchen Aussagen sollte man als Elternteil besonders hellhörig werden?

Alexandrea Fritz: Es gibt eine ganze Palette an Verhaltensweisen, um mit Kindern zu sprechen und wirklich an ihr Seelenleben heranzukommen. Besonders wichtig hierbei sind

  • Die eigene innere Ruhe (ich coache eben sehr oft Eltern selbst, damit sie lernen, in sich zu ruhen)
  • In einer harmonischen Atmosphäre sich dem Kind zuwenden
  • Und ihm die einfache, ehrlich gemeinte Frage stellen, wie geht es Dir? Kind: gut

Eltern: wie geht es Dir wirklich? Wie fühlst Du Dich gerade? Wie geht’s Dir in der Schule?

Oft beginnen die Kinder dann, in sich zu fühlen und zu erzählen.

kinderalltag.de: Jeder Mensch ist einzigartig und etwas Besonderes. Trotzdem entwickelt man bei verschiedenen Krankheiten dieselben Symptome. Auch bei psychischen Belastungen und Ausnahmetzuständen reagieren Menschen oft ähnlich, oder mit einer begrenzten Anzahl von Verhaltensmuster. Gibt es so etwas auch bei Mobbing-Opfern? Kann ich als Elternteil am Verhalten meines Kindes erkennen, dass wahrscheinlich Mobbing vorliegt?

Alexandrea Fritz: Grundsätzlich fällt bei gemobbten Kindern auf, dass sie pünktlich zum Sonntagabend/zu Schulbeginn nach den Ferien Bauchschmerzen bekommen, sowie undefinierbar schlechte Laune  und eine getrübte Stimmung.

kinderalltag.de: Man muss nicht zu den Helikoptereltern gehören, um sein Kind so gut wie möglich vor Schaden beschützen zu wollen. Fahrradhelme waren in meiner Kindheit noch nicht erfunden und es war nicht unüblich, schon mit sehr jungen Jahren weite Strecken über dichtbefahrene Straßen allein zurückzulegen. Heute ist so etwas undenkbar. Meine Kinder werden mit unterschiedlichster Schutzkleidung ausgepolstert, bevor sie ein Skatboard, einen Scooter, oder ein Fahrrad besteigen. Auch sonst achtet man natürlich sehr auf den Schutz und die Vorbeugung. Natürlich will man sein Kind auch vor Mobbing beschützen und mögliche Auslöser vermeiden. Man achtet also darauf, dass die Kleinen zu den coolen Kindern gehören. Man zieht ihnen modische Kleidung an und besucht regelmäßig den Friseur, um ihnen einen modernen Haarschnitt verpassen zu lassen. Außerdem drückt man schon mal ein Auge zu, wenn sie ein cooles neues Spielzeug mit zur Schule nehmen wollen, um es ihren Freunden zu zeigen. Aber klappt das tatsächlich? Gibt es Präventionsmaßnahmen, mit denen man sein Kind vor Mobbern schützen kann? Was genau sind die Auslöser für Mobbing und kann man sie vermeiden?

Alexandra Fritz: Oh ja, wir als Eltern können sehr viel tun, um präventiv unsere Kinder vor Mobbing zu schützen. Opfer zeichnet aus, dass es ihnen an Selbstbewusstsein mangelt und an seelischer Resilienz. Als Eltern ist es nun sehr wichtig, ein selbstbewusstes Kind mit Eigenverantwortung aufzuziehen. D.h. trauen sie ihrem Kind ruhig etwas zu. Es gibt tolle Resilienzübungen und wichtig ist auch, dass das Kind einen ruhigen Hafen als zu Hause hat und sich geliebt fühlt. Psychologische Studien belegen, dass Mobbingopfer oft aus Familien stammen, in denen Helikoptereltern ihren Kindern zu wenig selbst zutrauen oder sehr dominante Eltern das Kind zu sehr einschränken.

kinderalltag.de: Eltern wissen aufgrund ihrer Erfahrung sehr gut, wie sie mit Problemen der Kinder im Alltag umgehen. Speziell die eigenen Grenzen sind gut bekannt. So ist wenige Minuten nach einem Sturz mit dem Fahrrad klar, ob man mit dem Kind in die Unfallambulanz fahren sollte, oder mit Kühlpacks und Pflaster über die Runden kommt. Ein Blick auf den Schularbeitsstoff macht klar, ob die eigenen blassen Erinnerungen an Mathematik ausreichen, oder man lieber auf Geschwister zurückgreift, bei denen das Wissen noch frischer ist. Der Umgang mit psychischen Problemen ist für die meisten Menschen allerdings problematisch. Ein aufgeschlagenes Knie kann man viel einfacher nachfühlen als eine Depression. Erkennt man, dass das eigene Kind Mobbing-Opfer ist, dann muss man die psychischen Folgen verstehen und versuchen sie zu beseitigen. Dazu ist man in den seltensten Fällen wirklich qualifiziert. Allerdings zieht sich diese fehlende Qualifikation durch die komplette Elternschaft. Keiner von uns hat fundiertes Wissen rund um alle Bereiche der Kindererziehung und der Begleitung ins Leben. Gibt es Richtlinien, oder bestimmte Tatsachen, die den Eltern zeigen, dass das Kind professionelle Hilfe braucht?

Alexandra Fritz: Richtlinien gibt es nicht. Ich würde alle Eltern darin bestärken, auf ihre Intuition zu hören. D.h. im eigenen Rahmen mit dem Kind viel sprechen, ein harmonisches zu Hause bereiten und ihm zeigen, daß es geliebt ist. Sollte sich in der seelischen Verfassung keine Besserung einstellen, dann rate ich dazu, unbedingt professionelle Hilfe zu holen.

kinderalltag.de: Kinder erwarten von ihren Eltern Unterstützung und Handlungsempfehlungen. Bei den meisten Themen kann man als Erwachsene auf die eigene Lebenserfahrung zurückgreifen und die eigenen funktionierenden Lösungsstrategien erklären. Als Opfer von Mobbing haben die wenigsten Eltern Erfahrung. Ist das doch der Fall, erscheint es unwahrscheinlich, dass sie eine funktionierende Strategie haben, um aus der Opferrolle zu kommen. Was kann man seinem Kind raten? Gibt es allgemeingültige Empfehlungen und wie ist die grundlegende Strategie um die Mobber zu stoppen?

Alexandra Fritz: Ja, keine Aufmerksamkeit schenken. Das ist die größte Strafe, die sie Mobbern antun können. Denn diese wollen Aufmerksamkeit und ich mache mit meinen Schulkindern Übungen, wie sie sich in Mobbingsituationen aus der jeweiligen Situation entfernen, bzw. sich anderweitig ablenken. Zudem helfen sehr gut Resilienzübungen für die Kinder damit diese lernen, daß nicht alles Gesagte ihre Wahrheit werden muss.

kinderalltag.de: Meine Älteste ist nicht nur mit einem umfangreichen Wortschatz gesegnet, sondern zeichnet sich auch durch eine stark ausgeprägte Empathie und ihren Gerechtigkeitssinn aus. Sie sagt, was sie sich denkt, ist wortgewandt und schlagfertig. Sie hat die Zivilcourage einzuschreiten, wenn sie etwas beobachtet, was für sie nicht in Ordnung ist. Bei den beiden Kleineren ist diese Eigenschaft nicht so auffällig ausgeprägt, aber durchaus auch vorhanden. Was sollte ich meinen Kindern mit auf den Weg geben, um Mobbing zu erkennen und entsprechend zu reagieren? Was soll man als unbeteiligter Dritter tun, wenn man Mobbing beobachtet?

Alexandra Fritz: Das ist eine tolle Frage. Denn in diesem Spiel gibt es nicht nur Täter und Opfer, sondern auch Mitläufer bzw. Zuschauer. Und als Zuschauer empfiehlt es sich sehr, dem Opfer aus der Situation zu helfen, denn wie oben geschrieben ist die richtige Reaktion, sich aus der Mobbingsituation zu entfernen (Schnick,Schanack Schnuck spielen etc.). Einfach das Opfer einkreisen und ablenken, den Täter ohne Kampfansage einfach ignorieren. Seine größte Strafe.

kinderalltag.de: Der Gedanke, dass das eigene Kind gemobbt wird und mit einer großen psychischen Belastung leben muss, ist für mich als Mutter sehr schwer zu ertragen. Man möchte die eigenen Kinder beschützen und Situationen, in denen man weitgehend machtlos ist, sind sehr belastend. Hat man das Glück, dass es dem eigenen Kind gut geht und es gut in die Klassengemeinschaft, oder die Kita-Gruppe integriert ist, scheint die Welt in Ordnung. Was aber, wenn das eigenen Kind auf der anderen Seite steht? Wie geht man als Elternteil damit um, wenn man erkennt, dass die Tochter, oder der Sohn aktiv an Mobbing beteiligt ist, also ein Täter ist?

Alexandra Fritz: Auch Täter haben ein sehr schlechtes Selbstbewusstsein und stehen aus irgendeinem Grund unter Druck. Oder sie haben selbst Angst, gemobbt zu werden. Dies war z.B: bei meinem Sohn der Fall. Er wurde mit 4 Jahren stark gemobbt von einem Kind, wechselte aufgrund dessen den Kindergarten, scharte dann viele Freunde um sich und fing selbst an zu mobben. Er wurde lieber Täter, als wieder Opfer zu werden. Es war für mich ein Erkenntnisprozess und zeigte mir, dass auch die Täter Hilfe benötigen und man wertfrei auf alle Beteiligten zugehen darf. Über Gespräche kam ich an ihn heran indem ich ihm darstellte und ihn erinnerte, wie sich ein Opfer fühlt. Ich bestärkte ihn in seinem Selbstbewusstsein und appellierte an seinen Stolz (dass es nicht fein ist, jüngere und Mädchen zu drangsalieren). Es wirkte. Heute ist er Klassensprecher und setzt sich für alle Kameraden toll ein.

kinderalltag.de: Mobbing verursacht beim Opfer massive Probleme. Es nimmt die Freude daran, zur Schule zu gehen, und verursacht Angst. Die Auswirkungen sind also umfangreich und schwerwiegend. Aber was haben die Täter davon? Welche Beweggründe sind es, die Kinder zu Mobbern werden lassen?

Alexandra Fritz: Täter haben ein schlechtes Selbstbewusstsein und auch seelischen Druck (bei schlechten Noten Angst vor dem Elternhaus z.B:). Oder wie oben beschrieben waren sie bereits Opfer und haben Angst, es wieder zu werden. Sie lassen ihren Frust, Angst und Druck an Schwächeren ab, wichtig ist es zu wissen, dass sie nicht auf Schlägerei aus sind, sondern sich Schwache suchen, die das ausstrahlen und sich nicht wehren können.

kinderalltag.de: Wenn ich die genannten Maßnahmen gegen das Mobbing setze und meinem Kind alle Unterstützung gebe, die verfügbar ist, kann es passieren, dass das Mobbing nicht aufhört. Lehrer und Schulleitung sind informiert und mein Kind leidet trotzdem noch Tag für Tag unter den Mobbern. Welche Möglichkeiten habe ich in so einem Fall? Ist es die beste Strategie das Feld zu räumen und beispielsweise die Versetzung in eine andere Schulklasse zu organisieren, oder sogar die Schule zu wechseln, oder gibt es Institutionen, die in solchen Situationen unterstützen?

Alexandra Fritz: Sollte das Opfer nicht aus der Leidensschleife herauskommen, ist es durchaus ratsam, die Schule zu wechseln und den Wechsel zu nutzen, das Kind zu stärken und mit neuem Selbstbewusstsein einen Neustart zu ermöglichen.

Natürlich gibt es auch Anlaufstellen, hierbei seien die Wichtigsten anbei genannt:

„Nummer gegen Kummer“:

  • Kinder- und Jugendtelefon: 116111 (montags bis samstags von 14-20 Uhr)
  • Elterntelefon: 0800/111 0 550 (montags bis freitags von 9-11 Uhr, dienstags und donnerstags zusätzlich von 17-19 Uhr)
  • www.nummergegenkummer.de
  • https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/wer-hilft-bei-mobbing 1577110

kinderalltag.de: Es ist für die Eltern Tagesgeschäft, sich die Sorgen der Kinder anzuhören. Konfliktlösungen werden besprochen, Handlungsstrategien entwickelt und Sichtweisen hinterfragt und gegebenenfalls angepasst. Nach so einem Gespräch sollte es dem Kind bessergehen. Es schöpft neue Hoffnung und hat im besten Fall ein Werkzeugset an Handlungen bekommen, die es einsetzen kann. Allerdings ist ganz klar eine rote Linie überschritten, wenn das Kind davon erzählt, dass es sich selbst etwas antun möchte, oder sogar Selbstmordgedanken hat. In einer solchen Situation ist man als Elternteil schnell überfordert. Auf der einen Seite ist es natürlich ein mehr als deutlicher Schrei nach Hilfe, auf der anderen Seite kennt man als Elternteil auch Situationen, in denen das Kind sich wegen einer harmlosen Verletzung vor Schmerzen krümmt. Auch weiß man aus Gesprächen, dass der eigene Tod den Kindern Angst. Tendenziell nimmt man also solche Selbstmordgedanken wahrscheinlich nicht als bare Münze. Ist das ein Fehler? Muss man jede Erwähnung eines Selbstmordgedankens, auch wenn man meint sein Kind zu kennen und es ihm nie zutrauen würde, ernst nehmen und darauf umfassend reagieren, oder kann es tatsächlich „nur“ ein Hilfeschrei sein?

Alexandra Fritz: Das ist schwer zu beantworten, es kommt auf den Einzelfall an. Hysterische Pubertierende schreien in ihrer Wut durchaus einmal heraus, dass sie sich umbringen wollen/nicht mehr leben wollen etc. Was in gewissem Maß nicht zu Ernst genommen werden sollte. Dann gibt es Jugendliche, die sich anfangen zu ritzen. Hier sollte man natürlich gleich reagieren und professionelle Hilfe holen. Wenn Jugendliche insgesamt unglücklich, zerstört und traurig wirken, ist es sehr ratsam, einen „Herztalk“ zu machen (ich nenne das so, da es darum geht, die Gefühlsebene herauszukitzeln und anzusprechen und dem Kind zu zeigen, dass es einem wichtig ist und man es ernst nimmt). Je nach eigener Intuition macht es durchaus Sinn, sich externe Hilfe zu holen.

kinderalltag.de: Es gibt viele Abschnitte im Leben. Über Kita und mehrere Schulen bis hin zu den verschiedenen Arbeitgebern und Betrieben. In jedem Abschnitt landet man als Mensch in einer neuen Gruppe von Individuen. Die Gruppen reagieren ganz unterschiedlich auf neue Mitglieder und auch man selbst passt sich bewusst, oder unbewusst an das jeweilige Team an. Ist die Integration abgeschlossen, dann verfällt aber jeder Mensch wieder in seine angelernten Muster und verhält sich, seiner Persönlichkeit entsprechend. Eine mögliche Maßnahme gegen Mobbing ist es, in eine andere Gruppe zu wechseln. Man organisiert für das gemobbte Kind einen Schulwechsel und gibt ihm damit die Chance wieder bei Null zu beginnen.  Kann aber die Ursache dafür, ein Mobbingopfer zu werden, zumindest teilweise im eigenen Verhalten liegen? Kann es also vorkommen, dass ein solcher Wechsel nur kurzfristig eine Verbesserung bringt und das Kind nach ein paar Wochen wieder gemobbt wird? Welche Verhaltensweisen muss das Kind ablegen, dass das nicht wieder passiert?

Alexandra Fritz: Ja natürlich. Wie oben bereits beschrieben kann ein Wechsel sinnvoll sein, allerdings unbedingt verbunden mit einem Coaching im Sinne von einem Stärken des Selbstbewusstseins, Handlungsanweisungen was präventiv und im Fall von Mobbing direkt zu tun ist und Embodyment, d.h. dem Kind bewusstmachen, wie wichtig die Körperhaltung ist und mit ihm eine selbstbewusste Körperhaltung üben. Zudem empfehle ich Resilienzübungen.

kinderalltag.de: Vielen Dank für das Interview!

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