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Früher war alles anders

Sieht man sich den Alltag seiner Kinder einmal neutral an, dann wird man etwas feststellen. Nimmt man sich ein wenig zurück und betrachtet das, was hier Tag für Tag passiert aus etwas Entfernung, dann fällt auf, wie sehr sich der Alltag meiner Kinder von meiner eigenen Kindheit unterscheidet. Es beginnt schon damit, welche Angebote es an moderner Technik gibt. Abgesehen davon gibt es Angebote, von denen wusste ich als Kind nicht einmal, dass ich sie nicht habe. Es ist vielleicht eine Alterserscheinung, dass man alten Zeiten nachtrauert, aber so alt bin ich zum Glück noch nicht. Ich trauere und bedaure nichts. Ich beobachte und denke nach und jetzt einmal völlig losgelöst davon, was man besser findet und was nicht, früher war alles anders. Es gibt keinen Lebensbereich, der sich in den 30 bis 40 Jahren, die ich älter bin, als meine Kinder, nicht geändert hätte. Ob sich die Dinge zum Guten verändert haben, oder nicht, muss jeder für sich entscheiden.

Kindheit

Es fängt eigentlich schon bei dem Begriff Kindheit an. Irgendwie war die früher entspannter. Ich glaube, dass sich weniger Hausübung hatte, als meine Kinder es heute haben. Ich glaube, ich hatte sehr viel Freizeit. Freizeit und Freiheit. Es fällt mir schwer, das in Worte zu fassen, aber irgendwie brauchen meine Kinder ständig ein Programm. Es ist irgendwie das Idealbild der Mutter, seine Kinder von Termin zu Termin zu treiben. Es wirkt komisch, wenn man anderen Eltern erzählt, dass die Kleinen den Nachmittag auf der Couch liegen und nichts tun. Genauso komisch wäre es wahrscheinlich, wenn man erzählt, man hätte keine Ahnung, wo die Kinder gerade genau sind, aber sie sind ja zu dritt, was soll schon passieren. Irgendwie habe ich das Gefühl, meine Eltern hätten das so erzählt. Ich habe mich oft sehr weit von unserem Haus entfernt. Weite Strecken alleine zurückzulegen, war kein Problem und gehörte zum Alltag.

Kleine Erwachsene

Ich habe dazu heute auch mit meinem Mann gesprochen. Er meint, dass wir damals wie kleine Erwachsene behandelt wurden. An der Beschreibung ist etwas dran. Kinder hatten in den 1970er Jahren nicht viel zu tun, außer Kinder zu sein. An ein Entwicklungsgespräch in der Kita kann ich mich nicht erinnern. Bei meinen Kindern gab es das Jahr für Jahr. Welche Beobachtungen hat die Pädagogin gemacht und worauf möchte sie hinweisen. Ist das Kind altersgerecht entwickelt, oder hat es Bereiche, in denen es nachhinkt. Viele werden den entzückenden Film Baby Boom kennen. Diane Keaton spielt eine toughe Businessfrau, die plötzlich ein Baby versorgen muss. Sie verliert ihren Job und baut sich nach und nach eine neue Existenz mit Babynahrung auf. Eine rührende Geschichte, in der man mitverfolgen kann, wie das Wertesystem der Hauptdarstellerin sich verändert. Aber eine Szene in dem Film erinnert mich an unsere heutige Situation.

Zukunft gestalten

Ich habe den Film leider nicht und die Szene auch nicht im Internet gefunden, aber es geht in etwa darum, dass Diane Keaton mit ihrem Kind am Spielplatz andere Mütter belauscht und sich dann auch in das Gespräch einbringt. Die beiden sprechen über die Förderung ihrer Kinder und dass es so wichtig wäre, die passende Schule auszuwählen. Später im Film versucht auch Diane Keaton mit ihrer Tochter solche Kurse, hält ihr, zusammen mit etlichen anderen eifrigen Eltern, Karten mit Symbolen vor und versucht so ihre Intelligenz zu fördern. Der Film stammt aus 1987 und ich denke, dass die Szene wohl überzeichnet ist. Trotzdem ist sie auch beispielgebend für einen Trend, den wir seitdem erleben. Irgendwie fühlen wir uns als Eltern verpflichtet, die Kinder zu fördern.

Fördern und Beschützen

Wir versuchen den Kindern also sehr viel Wissen zu vermitteln. Die Angebote dafür sind umfangreich. Auch in Bezug auf die Ausstattung muss man viel nachdenken und sich um Pädagogik, Ergonomie und sonstige Wirkung auf das Kind Gedanken machen. So gibt es Diskussionen darüber, ob Kinder mit Schuhen, oder barfuß laufen sollen. Sucht man bei Google nach „Baby Intelligenz fördern“ bekommt man 1.240.000 Treffer voller Tipps dazu. Vom lockeren Blogeintrag bis zur populärwissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas ist alles dabei. Natürlich kann man auch viel Geld in den IQ seines Kindes investieren und das Spielzeug kaufen, das die Synapsen des Nachwuchses nur so sprießen lässt. Gleichzeitig aber werden Kinder mit Kinder sitz und Fahrradhelm ausgestattet. Sie bewegen sich im Straßenverkehr nicht allein und es gibt sogar am Spielplatz kaum eine Sekunde, in der man das, oder sie Kinder nicht im Blick hat.

Angst?

Meiner Meinung nach treibt uns Eltern eine große Angst an. Wir fürchten, dass aus dem Kind später nichts wird und es im Leben benachteiligt wird. Auch haben wir Angst um seine Gesundheit und Unversehrtheit. Dabei leben wir in einer Zeit, in der vieles deutlich sicherer ist, als früher. Sieht man sich die Statistiken zu Kinderunfällen im Straßenverkehr des Statistischen Bundesamtes an, dann stellt man fest, dass man 1979 deutlich sicherer unterwegs war, als 2020. 2020 starben 48 Kinder unter 15 Jahren auf deutschen Straßen. Die Statistik ist in den Details nicht ganz nachvollziehbar, aber die Gesamtanzahl der Kinder, die in Verkehrsunfälle verwickelt waren, ist aussagekräftig genug. In den 1970er Jahren gab es pro Jahr durchschnittlich 68.899,3 in Straßenverkehrsunfällen verunglückte Kinder. Den höchsten Wert gab es 1978 mit 72.129 Kindern. Sieht man sich dann die 2010er an, dann kommt man auf einen Schnitt von 28.870,2 Kindern. Bei den getöteten Kindern ist es noch dramatischer. Jährlich starben durchschnittlich 1.644 Kinder in den 1970er Jahren im Straßenverkehr. In den 2010er Jahren waren es im Schnitt 73,7. Die durschnittliche Anzahl der Einwohner unter 15 Jahren hat sich dabei von 1979 mit 14.905.442 bis 2019 mit 11.341.038 weit weniger deutlich entwickelt.

Straßenverkehr

Wer in den 1970er Jahren sein Kind am Straßenverkehr teilnehmen ließ, hatte eine Chance von 1:216, dass das Kind in einen Unfall verwickelt wird. Mit einer Chance von 1:9066 würde es den Tag nicht überleben. In den 2010ern lag die Chance auf einen Unfall bei 1:392. Mit einer Chance von 1:153.881 überlebt es nicht. Zum Vergleich liegt die Wahrscheinlichkeit 3 Richtige beim Lotto 6 aus 49 zu haben bei 1:63. 3 Richtige plus Superzahl gibt es mit 1:567 Wahrscheinlichkeit. Die 5 Richtigen gibt es bei mit 1:60.223. Es war also gar nicht mal so unwahrscheinlich, sein Kind in den 1970er das letzte Mal zu sehen, wenn es das Haus verließ. Jeden Tag passierte das 4,5 Mal in den 1970ern. Dabei kann ich mich weder an rührende Abschiedsszenen jeden Tag erinnern, noch daran, dass meine Eltern irgendwie ängstlich gewesen wären. Es war einfach so. Man saß ohne Gurt, weil die meisten Autos hatten entweder keine Gurte, oder zumindest keine auf der Rückbank, im Auto und genoss die Fahrt. Babys wurden kurzerhand ins Auto gelegt und Papa fuhr dann eben etwas langsamer um die Kurven. Heute beschäftigen wir uns mit der Sicherheit von Kindersitzen.

Henne und Ei

Nun, es kann natürlich sein, dass die erfreuliche Entwicklung der Zahlen eben darauf zurückzuführen ist, dass Eltern die Sicherheit ihrer Kinder heute ernster nehmen. Auch Gurt- und Kindersitzpflicht leisten dazu sicher ihren Beitrag. Genauso wie Fahrradhelme und eigen Radwege. Die einheitliche Notrufnummer wurde in Deutschland auch erst 1973 etabliert. Einem Ehepaar, das 1969 ihren Sohn, den kleinen Björn Steige verloren hatte, ist das zu verdanken. Die beiden setzten sich den Rest ihres Lebens dafür ein, das Rettungswesen in Deutschland effizienter zu machen. Außerdem besitzt heute jeder Mensch ein Smartphone. Kommt es zum Unfall, funktioniert die Rettungskette besser und startet meistens unmittelbar. Dadurch, dass wir alle die Gefahren des Straßenverkehrs wichtiger nehmen, vermitteln wir das auch unseren Kindern. Die sind dann sicher vorsichtiger, als wir es früher waren. Außerdem gibt es rund um die Sicherheit im Straßenverkehr etliche Entwicklungen, wie breitere Bürgersteige, bessere Bremsen, allerhand Warnsysteme in den Autos und noch vieles mehr.

Pädagogik

Dass wir Kinder und ihre Entwicklung ernster nehmen, als vor ein paar Jahrzehnten, zieht sich durch alle Bereiche. Es beginnt in der Kita, wo es ein pädagogisches Konzept gibt. Zu meiner Zeit war das Konzept ein kindgerecht eingerichteter Raum voller Kinder ohne Fluchtmöglichkeiten. Als wir uns die Grundschule unserer Kinder angesehen haben, haben wir Unterricht am Flur gesehen. Statt Frontalunterricht wird heute Stationenlernen praktiziert. Die Kinder lernen selbstständig und gehen von Station zu Station. Das gab es zu meiner Zeit nicht. Als Schülerin hatte man zu sitzen, nicht zu reden, ohne vorher den Arm zu heben und alle Anweisungen der Lehrerin zu befolgen. Heute wird Selbstständigkeit und Selbstverantwortung gelehrt und die Kinder erarbeiten sich den Stoff, statt dass er ihnen eingearbeitet wird. Gute Lehrerinnen schaffen es, die Kinder zu motivieren. Sie haben Respekt, aber keine Angst. Auch das war damals anders. Mein Mann erzählt noch heute von seiner Lehrerin, wegen der er schon als kleines Kind Bauchschmerzen hatte und die er regelrecht fürchtete.

Gut, oder schlecht?

Früher war alles anders, das ist klar. Aber war es jetzt besser, oder schlechter? Ich fürchte, das kann ich nicht sagen. Ich habe beides erlebt und erlebe es noch immer, aber ob es mir lieber wäre, meine Kinder sind den halben Tag alleine unterwegs, ohne dass ich weiß, wo sie sind, oder ich bin stark gefordert, mit ihnen ein kindgerechtes Programm zu absolvieren, bei dem ich sie ständig im Auge habe, kann ich nicht sagen. Beides hat Vorteile. Beides hat Nachteile. Sowohl für mich, als auch für die Kinder entstehen Chancen und Risken. So lernt ein Kind sicher viel, wenn es alleine unterwegs ist. Der Preis dafür kann aber sehr hoch sein. Außerdem gibt es heute Gefahren, die es damals noch nicht gab. Drogen beispielsweise, oder Pädophilie. Dinge, die es in meiner Kindheit scheinbar noch nicht, oder nicht als akute Gefahr gab.

Blick in die USA

Irgendwie schaffen es auch die dümmsten Trends immer wieder über den Atlantik. Nicht zuletzt über die Filmindustrie ist der amerikanische Alltag für uns relativ normal. Ich habe mir einmal eine spannende Dokumentation angesehen, in der eine Deutsche Korrespondentin den Umgang mit Kindern in den USA dokumentiert hat. Unter dem Namen Amerikas Eltern im Kontrollwahn zeigt sie in ihrer Doku eine Gesellschaft, in der die Polizei Eltern, die ihre Kinder alleine vor die Tür lassen, das Jugendamt vorbeischickt. In den Kindergärten hängen Kameras und die Eltern können jederzeit einen Blick auf die Pädagoginnen und die Kinder werfen. Bei der Abholung bekommt man ein Protokoll, in dem wirklich alles, was im Laufe des Tages passiert ist, vermerkt wurde. Gut, es sind wahrscheinlich Extrembeispiele, aber sie zeigen einen ganz karen Trend. Auch wenn es in Europa schon aufgrund des Datenschutzes nicht in Ordnung wäre, den Erzieherinnen den ganzen Tag auf die Finger zu schauen, gibt es sicher auch bei uns Eltern, die sich freuen würden, wenn es die Möglichkeit gäbe.

Einzelkinder und schlechtes Gewissen

Heute gibt es überwiegend Einzelkinder und beide Elternteile sind berufstätig. Das führt wohl bei vielen Müttern und Vätern zu einer Art schlechtem Gewissen. Man versucht, die Zeit mit dem Kind optimal und effizient zu nutzen. Die wenige Zeit, die man miteinander hat, wird vollgestopft mit Aktivitäten. Beide Eltern konzentrieren sich nur auf das eine Kind und setzen dort alles um, was sie sich für ihre Kinder vorgenommen haben. Dazu kommen noch Großeltern, die nur ein einziges Enkelkind haben und sich ebenfalls voll und ganz auf dieses Kind konzentrieren. Es bleibt abzuwarten, wie es der nächsten Generation von Kindern gehen wird. Mit etwas Glück werde ich noch erleben, wie unsere drei Kleinen Kinder bekommen und wie sie mit ihnen umgehen. Es wird sicher wieder anders sein, als wir das heute tun. Vielleicht kommt das Kind noch mehr in den Fokus, oder der Trend kehrt sich um und die Kinder verbringen wieder Stunden allein im Park. Mal sehen.

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